Donnerstag, Oktober 05, 2006

...und hinter mir wächst der Himmel aus den Dachgiebeln.


Vor Abenden mit Leander allein habe ich Angst, weil ich Angst davor habe, dass sich etwas verändert. Wir hören Piazzollas Oblivion, ich kann nicht anders, als dazu meine Arme zu bewegen, ich kann nicht anders, als aufzugeben, dies ist meine Musik vom Weinen, das außerhalb des Körpers geschieht, anderswo. Wie ich Piazzolla für Tristeza, separacion liebe, weiß nur Leander, die Sirenenvioline im Hintergrund, die meine Nackenwirbel erklimmt. Die Musik macht das Nichtreden einfach, sie löst die Worte auf, dass da, wo eben noch welche waren, nur Farben bleiben und die Erinnerung an einen Versuch, sich auszudrücken, an einen kleinen, heiteren Krampf. Pizzicato in Los sueños und ich bin zu allem bereit und weiß von nichts. Man darf Piazzolla niemals abrupt abstellen, sonst ist man augenblicklich allein und nackt...

...Leander schläft, als ich mich neben ihn lege. In sein Schlafgesicht hat sich ein Warten festgewoben. Die Falten um die Augenwinkel sind ein Strahlenkranz. Eine Heizung tickt. Ich könnte neben Leander sitzen bleiben und warten, bis ich nicht mehr anders kann als ihn zu wecken. Ich könnte noch einmal alles sagen, was zwischen uns schon gesagt worden ist. Ich könnte versuchen, auch das zu sagen, was ich ausgelassen habe.
Leanders Zehen sind kleine Eisberge. Bis zur ersten Sonne sind es noch zwei Schachteln Zigaretten und vier Mal Piazzolla im Repeat.


(Text: Susanne Heinrich, Foto: Nico Herzog)


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